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Folge 2: Wow! Das ist Mao!

  • Mujasa
  • 27. Feb. 2024
  • 15 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 29. Feb. 2024


Großvater war kein Salier, er war ein Wanderer.

Großvater musste nicht mit Pflanzen sprechen, er kannte die Welt.

Lirons Großvater war während er in Viola aufwuchs, immer wieder zu neuen Abenteuern aufgebrochen. Manchmal war er einige Wochen unterwegs gewesen, meistens viele Monate. Immer war sein treuer Begleiter Cato, ein sogenannter Wafoda Fuchs dabei an seiner Seite gewesen. Für Opa bestand das Leben dort draußen aus den vielen Wegen, die ihn schon in die entlegensten Gegenden geführt hatten. Er liebte seine Familie und Viola, aber er war nun einmal ein Wanderer.

Das bedeutete, dass die Wege ihn immer riefen, und dass er die Welt entdecken musste. Auch in seinem hohen Alter kribbelte es ihn nach einiger Zeit Zuhause in den Beinen.

Oma hatte das natürlich immer gewusst. Trotzdem fehlte er ihr mit jedem Mal, an dem er in den Wäldern am Dorfrand verschwand, etwas mehr.

Ja, für Oma war es traurig, wenn Opa Viola verließ. So wie ein grauer Tag, an dem Regenwolken die Sonne verdecken, traurig sein kann.

Für Liron war es manchmal so, als wolle die Sonne nicht mehr erscheinen, als hätte man ihn in einem endlosen Winter zurückgelassen. Denn seine Heimat war nicht das kleine Dorf Viola und seine großen Bäume. Seine Heimat machte sich mit Opa auf den Weg, wenn er ging.

Und der einzige Mensch, der das hätte verstehen können, war dann fort.

Umso aufgeregter waren Tupo und Liron als er auftauchte und umso ungeduldiger waren sie Oma davon in Kenntnis zu setzen. Cato stürmte als erstes durch die Haustür und überfiel Oma indem er sich mit seinen Vorderpfoten bei ihr abstützte und sich den Kopf streicheln ließ. Mit den Augen war Oma schon bei Opa. Als sie voreinander standen überwältige die Wiedersehensfreude die beiden und sie nahmen sich fest in den Arm und verweilten so für eine eigene Unendlichkeit.

„Lass uns rausgehen.“, sagte Tupo leise und neigte seinen Kopf dabei zur Tür, die in den hinteren Garten führte. Liron folgte ihm und schloss die Tür leise hinter sich. Draußen hatte es sich eine milde Sommernacht gemütlich gemacht und funkelte von oben auf den Garten hinab. Die beiden begaben sich zur Lagerfeuerstelle. Aus Gewohnheit kümmerte sich Tupo um das Stockbrot und Liron zündete ohne weitere Absprache das Feuer an. Wortlos nahmen sie auf ihren festen Holzblöcken an beiden Seiten des Feuers Platz.

Lirons Augen verloren sich schnell in den Flammen, als er anfing seine Gedanken laut zu äußern: „Dass Opa zurück ist, wird alle aufmuntern.“

Als er an den nächsten Tag dachte, fiel ihm schockartig ein, dass er etwas Wichtiges vergessen hatte. „Tupo! Eure Zeremonie ist doch auch morgen! Das habe ich bei dem Ganzen Durcheinander komplett vergessen.“

Tupo seufzte. Er hatte es natürlich nicht vergessen.

Es stand außer Frage, dass unter den aktuellen Umständen niemand erwarten konnte einen Partner in die Erde zu setzen. Aber das war nur eine temporäre Verzögerung. Der Tag würde kommen. „Ich hoffe Ping ist bereit dafür. Aber erst einmal steht der Schulausflug in den alten Wald an.“ Tupo wollte das Thema so schnell wie möglich wechseln. „Ich glaube, es ist gut, wenn die Kinder sich mit den alten Bäumen beschäftigen. Das wird sie ablenken. Dort draußen im Wald soll auch alles in Ordnung sein, hat Oma gehört. Willst du nicht auch mitkommen?“

„Ja, wieso nicht.“, Liron sprang auf das neue Thema an. „Aber ich glaub‘ nicht, dass ich von großer Hilfe sein werde.“

 

Der nächste Morgen

Die Salierkinder hatten sich alle pünktlich vor der Schule versammelt und folgten Tupo und Liron in Zweierreihen aus dem Dorf hinaus und in den umliegenden Wald hinein. Dort angekommen, forderte Tupo die Kinder auf sich jeweils einen Baum auszusuchen zu dem sie Kontakt aufnehmen wollten.

Als Tupo sah wie ein Salier Junge verzweifelt eine Verbindung zu einem der besonders großen Bäume aufzubauen, näherte er sich ihm mit seiner beruhigenden Energie.

„Noch einmal einen Schritt zurück.”, sagte er und lächelte den Jungen dabei an.

„Du hast dir einen sehr guten Freund von mir ausgesucht.”, stellte er weiter fest und der Junge freute sich und entspannte sich sogleich etwas.

„Was ist der erste Schritt?”

Der Junge wusste es, sie hatten es immer und immer wiederholt. „Als erstes”, sagte er etwas sicherer, „müssen wir verstehen, dass die Sprache der Salier eine ganz andere ist und dass wir unsere Sprache dafür zurücklassen müssen.”

„Sehr gut!”, lobte Tupo ihn. „Wie können wir das machen?”, führte er ihn vorsichtig weiter. „Wir müssen zuhören. Ohne etwas verstehen zu wollen.”

„Super, genau! Lass uns damit anfangen. Wir wollen noch gar nichts schaffen, einfach nur horchen.”

Der Junge entspannte sich weiter und sie beide legten ihre Handflächen auf die raue Rinde des gigantischen Baums. Tupo ließ sich nicht von seiner starken Verbindung ablenken, er konzentrierte sich ebenso auf diesen ersten Schritt und blieb gedanklich bei seinem Schüler. Nach einigen Momenten ließen sie los und Tupo schaute zu dem Jungen.

„Ich habe es gespürt!”, rief er aufgeregt. „Die Wurzeln, die unendlichen Wurzeln und wie tief sie in der Erde sind. Wie unglaublich!”, er konnte es kaum in Worte fassen.

„Beeindruckend oder?”, sagte Tupo und lächelte. Der Junge war sehr zufrieden.

„Man spürt nicht nur die Größe finde ich. Was hast du noch bemerkt?”, er versuchte den Jungen noch ein wenig weiter zu bringen.

„Die Zeit.”, sagte er ohne zu zögern.

„Ja.”, sagte Tupo und fühlte sich in seiner Annahme bestätigt, dass der Junge bereit für den nächsten Schritt war. „Was meinst du damit?”

Der Junge hielt inne. „Es fühlt sich so an, als ob die Zeit, der Ort und der Baum untrennbar miteinander verbunden sind. Als ob sie alle eins wären. Das ist falsch oder?”, fragte der Junge als er seine eigenen Worte hörte.

„Nein.”, sagte Tupo und schaute erst kurz zu dem Jungen und dann hoch in die Baumkrone. „Das ist sogar unfassbar richtig. Das hast du richtig gut gemacht. Du kannst sehr stolz sein.”

„Danke Tupo! Ich versuche es gleich noch einmal!”, die Augen des Jungen leuchteten. „Sehr gut. Und ich schaue mal nach den anderen.”, zufrieden drehte Tupo sich um und kümmerte sich um das nächste Salierkind. 

Er liebte es die Kinder zu unterrichten. Denn er wusste, dass Kinder bereit waren etwas wirklich zu versuchen - auch ohne es vollkommen zu begreifen. Er wusste, dass Kinder keine Angst hatten zu versagen, zumindest solange die Erwachsenen und die Erwartungen sich raushielten.





Liron hatte Tupo bei seinem Unterricht belauscht und sich vorgenommen es noch einmal zu versuchen. Er wusste nicht mehr, wie oft er diesen Vorsatz schon hatte scheitern sehen. Er schloss die Augen und tastete nach dem Baum. Die Rinde war grob und uneben. Beim Fühlen nach einer besser geeigneten Stelle zog er sich einen Splitter zu. Er kniff die Augen kurz zusammen und beschloss es durchzustehen.

Zuhören, hatte Tupo gesagt.

Liron horchte, er horchte so sehr er es eben vermochte, aber da war nichts. Natürlich war da nichts. Und ja, er wollte etwas verstehen!

Warum auch sonst diese lächerliche Übung machen?

Es würde alles keinen Unterschied machen, nicht für ihn. Langsam wurde ihm warm. Die Wärme strahlte aus seiner Körpermitte hinauf und sammelte sich anschließend in seinem Kopf. Warum nur ich?

Er führte unbewusst seine zweite Hand an den Stamm und fing sogleich an diesen fester zu packen. Ich höre doch hin! Also sag endlich etwas! Sprich mit mir!

Bei den letzten Worten fing Liron an gewaltsam an dem Stamm zu rütteln, in der Hoffnung die Wörter würden wie Blätter auf ihn herunter rieseln.

Nichts.

Er öffnete die Augen und ging einen Schritt zurück. Vermutlich hätte er sich in den folgenden Momenten weiter in seine Rage hineingesteigert, wenn ein sonderbares Geräusch ihn nicht davon abgelenkt hätte.

Stimmen! Es waren eindeutig Stimmen! Waren das die Bäume? Klangen sie etwa genau wie Menschen? Sie kamen eindeutig von ein weiter weg. Liron bewegte sich vorsichtig auf die Stimmen zu und erblickte zu seinem großen Erstaunen und auch mit etwas Scham, dass sich zwei unbekannte Menschen etwas tiefer im Wald unterhielten. 

 

Als er vorsichtig hinter einem der Baumriesen hervorschaute, entdeckte er eine junge Frau, die es sich auf einem kleinen Rasenstück gemütlich gemacht hatte. Allem Anschein nach sonnte sie sich dort und verwendete dabei einen abgerundeten Felsen als Kopfstütze. Liron kam das unfassbar absurd vor. Vor allem ihre Kleidung ließ sie deplatziert wirken. Er hatte noch nie so feine Stoffe gesehen. Weder ihr fliederfarbener Rock noch ihr gekürztes Top in Lavendeloptik und schon gar nicht die vielen verschiedenen Schmuckstücke, die ihren Körper zierten, halfen Liron sich einen Reim daraus zu machen. Sie hatte ihre Augen geschlossen und streckte ihr blasses Gesicht der Sonne entgegen, die durch die vielen Äste genau diesen einen Fleck erhellen wollte. Er war so von ihrer Schönheit abgelenkt gewesen, dass er im Kern seines Körpers erschrak als eine männliche Stimme in sein Ohr drang.

„Es wäre wirklich großartig, wenn du mir helfen würdest, anstatt da einfach nur rumzuliegen. Schließlich bist du diejenige, die unbedingt etwas essen wollte.“

Die Stimme gehörte einem jungen Mann, der in einen schwarzen Mantel gehüllt war und Handschuhe trug. Sein silberneres Haar sowie seine blasse Erscheinung hoben sich von seiner sonst so dunklen Kleidung ab.

Sie antwortete ihm, ließ ihre Augen aber dabei geschlossen.

„Ich bin müde, Jaro. Ich laufe dir seit Tagen hinterher. Langsam erschleicht mich das Gefühl, dass du nicht weißt, wo wir sind oder wohin wir wollen.“

Bei den nächsten Worten hob sie ihre Nase noch etwas weiter in die Höhe.

„Und als ich essen sagte, hatte ich an etwas Zivilisiertes gedacht.“

Wer waren diese Fremden?

„Lass mich auch mal gucken!“

Diesmal war es Tupos bekannte Stimme, die direkt neben Liron aufgetaucht war. Er sollte sich wirklich besser auf seine Umgebung konzentrieren! Tupo stampfte mit seinen großen Stiefeln an Liron vorbei und drückte ihn dabei mit seinem Arm zur Seite.

„Warum schubst du mich?“, zischte Liron unterdrückt, aber Tupo ignorierte es. Er stand völlig fasziniert halb verdeckt hinter dem großen Baum und starrte die Frau an. Seine Augen weiteten sich und sein Herz schlug schneller. Ihr dunkles, braunes Haar, das ganz leicht bordeauxrot im Licht schimmerte auf ihrer kühlen porzellanartigen Haut konnte nur an eine Königin erinnern! Tupo war wie in Trance.

Neben der Frau lag eine Siamkatze, die natürlich keiner der beiden wahrgenommen hatte. Die großen weinrotgefärbten Ohren hatten Tupo und Liron jedoch längst aufgespürt. Ohne auch nur das leiseste Geräusch zu verursachen, schritt die sonst beigefarbene Katze über die Lichtung auf den großen Baum zu.

„Oh nein, ihr Kanimal hat uns gesehen. Liron, was jetzt?“

„Irgendwie deine Schuld, weil du mich geschubst hast.“, sagte Liron immer noch sichtlich genervt. „Jetzt sei doch nicht so nachtragend.“, gab Tupo zurück und zu der Katze flüsterte er noch: „Ganz ruhig, kein Grund zur Aufregung.“ Aber da hatte sie schon Lumi entdeckt, der sogleich die Flucht ergriff und auf einen ausgehöhlten Baum zu lief. Die Katze lief hinterher.

„Lumi!“, schrie Liron und verließ ohne zu zögern seine Deckung und rannte den beiden Tieren hinterher. Doch die unbekannte Frau war schneller. „Lass ihn in Ruhe, Chi.“

Die Katze ließ augenblicklich von ihrer Verfolgung ab und setzte sich gehorsam hin. Liron rannte auf Lumi zu, der sogleich flüchtend auf seinen Arm und dann hoch auf seine Schulter sprang.





„Bist du wahnsinnig? Du solltest dein Kanimal besser im Griff haben! Das ist-“

Liron spürte, dass er wütender war, als er erwartet hatte.

„Aber hat sie nicht gerade gezeigt, dass sie alles im Griff hat? Bitte beruhig dich.“, Tupo versuchte zu deeskalieren.

„Ja, dein Freund hat recht, du solltest dich wirklich beruhigen.“, sagte die Frau, die ihn offensichtlich provozieren wollte. Der junge Mann, der bei ihr war, schien nicht sonderlich an der Thematik interessiert zu sein. Stattdessen starrte er völlig fasziniert auf Lumi, so als ob es keine andere Unterhaltung gegeben hätte.

„So ein Tier habe ich noch nie gesehen. Warum sollte ein Salier eins besitzen? Oder ist es ein Kanimal? Kannst du mit ihm sprechen?“

Liron schaute ihn misstrauisch an.

„Warum willst du das wissen? Und was macht ihr überhaupt hier in unseren Wäldern?“

„Was Liron versucht damit zu sagen“, sagte Tupo mit einem leicht gequälten Lächeln, „ist, schön euch kennenzulernen.“ Liron schaute genervt zu Tupo. Keiner kümmerte sich um Tupos Versuch das Gespräch zu beeinflussen.

„Was ist nur verkehrt mit euch?“ Jaro unterbrach sie. „Mao, bitte.“

Da fiel es Tupo wie Schuppen von den Augen.

„Mao? Warte. Mao? Aber natürlich du bist Mao!“ Liron verstand die Aufregung nicht. „Mao?“ Tupos Hände schnellten zu seinem Kopf hoch. Fassungslos und ohne seine Augen von Mao abzuwenden, rief er: „In welcher Welt lebst du, Liron? Sie ist quasi die berühmteste Frau in Eulim!“

Unbeeindruckt starrten die beiden ohne eine Miene zu verziehen zu ihm zurück.

„Ja, super spannend.“, sagte Jaro kühl und Liron fielen zum ersten Mal die zwei kreisförmigen Narben auf seiner rechten Gesichtshälfte auf. „Kann es selbst kaum fassen.“, ergänzte Mao trocken. Gelangweilt von diesem Thema widmete sich Jaro wieder Lumi.

„Darf ich ihn mir einmal anschauen? Wenn man nach seiner Energiesignatur geht, ist er einfach unglaublich!“ Er streckte vorsichtig seine Hand in Lirons Richtung aus. Der Ärmel seines schwarzen Mantels hing dabei hinab und entblößte eine winzige Viper, die sich hier versteckt gehalten hatte. Liron entdeckte sie wegen ihrer gelben Farbe sofort.

„Einen Moment! Ist das eine Schlange? Bist du etwa ein Pharmalo?“ Ohne zu zögern drehte Liron die Schulter, auf der Lumi saß, von ihm weg.

„Bist du deshalb hier, um unsere Bäume zu vergiften?“ Tupo versucht ihn zurückzuhalten. Gleichzeitig schloss Mao ihre Augen und konzentrierte sich. Als sie ihre Augen wieder öffnete leuchteten diese violett. Auch die Augen ihrer Katze Chi leuchteten. Liron, der gerade auf Jaro zu stampfen wollte, war in seiner Bewegung erstarrt. Verängstigt schaute er nun zu ihr.

„Oh“, sagte sie, „wie ich Menschen wie dich verachte. Sag mir, was hat er dir je getan?“ Ein lilanes Licht verband sie mit Chi und umhüllte die beiden. Sie starrten auf den regungslosen Liron. „Oh, du kannst ja nichts sagen. Schwierig sich zu bewegen, oder? Ich hoffe, es freut dich Bekanntschaft mit der Macht der Eulim zu machen.“ Aus nicht allzu weiter Ferne hörten sie eine Gruppe von Menschen, die näher kam. Jaro legte seine Hand behutsam auf Maos Schulter.

„Um, Mao? Ich denke, wir sollten abhauen. Salier sind auf dem Weg und sie sehen nicht so gut gelaunt aus.“ Mao schaute zur Seite, dem Geräusch entgegen. Als sie die Salier entdeckte, die auf sie zu rannten, ließ sie Liron augenblicklich aus ihrem Bann. Es war eine Gruppe von vielleicht vier. Der Mann an ihrer Spitze lief hinter sich auftürmenden Ranken her, die bedrohlich die Erde unter sich aufrissen. Eine Salierfrau ließ die Blütenblätter einer Blume um sie wirbeln, die bei der Geschwindigkeit mit der sie unterwegs waren, vermutlich unschöne Schnitte verursachen würden. Der Arm des Mannes zu ihrer linken war umhüllt von Ranken, die er jeden Moment auf sie loslassen würde. Wenn es nicht so eine brenzliche Situation gewesen wäre, hätte Jaro wahrscheinlich lachen müssen, als er den vierten Salier entdeckte, der mit einem kleinen Blumentopf auf sie zulief, in dem ein aggressiver Kaktus zuhause war. Die beiden drehten sich um und liefen davon.

„Ja, lauft nur weg!“, rief einer der Salier als sie Tupo und Liron fast erreicht hatten.

Tupo schaute ihr wehleidig hinterher. „Warum? Ich vermisse sie jetzt schon unfassbar doll.“ Liron saß noch auf dem Boden und hörte ihn nicht. Das Gefühl in seinem Körper kehrte erst allmählich vollständig zurück. Einer der Salier streckte ihm eine Hand entgegen und half ihm hoch.

„Alles okay, Liron? Die Pharmalo kommen so schnell nicht wieder!“

Dankend nahm er die Hand und ließ sich hochhelfen. Schon wieder war er am Boden geendet.

Während er den Dreck auf seiner Kleidung abklopfte, hatte Tupo schon die Kinder um sich geschart. „Ich denke, wir sollten jetzt alle Heim kehren.“, sagte er mit einem beruhigenden Lächeln. „Kommst du, Li?“ Er überlegte einen Moment. Etwas neben sich stehend, entschied er, dass er noch etwas alleine sein wollte. „Geht ruhig schon vor. Ich komme gleich nach.“ Tupo bemerkte, was los war und fragte nicht weiter nach.

 

Liron beschloss einen kleinen Umweg zu nehmen. Ohne diesen zu hinterfragen, tippelte Lumi loyal an seiner Seite mit ihm durch den Wald. Es dauerte nicht sehr lange bevor Liron gezwungen wurde sich aus seinem Kopf zu befreien. Irgendjemand verfolgte die beiden.

„Opa? Bist du das?“, fragte er vorsichtig in das Dickicht von Bäumen hinein. „Richtig erkannt, lass uns zusammen nach Hause gehen.“, antwortete die bekannte Stimme seines Großvaters ihm. Sie gingen einige Zeit nebeneinander her ohne ein Wort zu sagen. Liron war nicht nach einer Unterhaltung zumute. Sein Großvater jedoch, hatte ihn nicht grundlos aufgesucht.





„Sag mir, Liron. Was ist los? Du wirkst so verloren auf mich.“ Na, großartig.

„Ich, ich weiß es nicht. Ich fühle mich als ob… Ich denke, ich bin einfach kein guter Salier. Und ich bin auch nicht auf dem Weg einer zu werden. Und Oma will mir einfach nicht glauben, aber ich habe es wirklich versucht. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, dann kann ich einfach nicht mit Pflanzen sprechen.“

Es fühlte sich gut an, es zu sagen.

„Mit Pflanzen sprechen? Du machst Witze!“ Sein Großvater lachte laut los.

„Warum denkst du, du solltest das können? Das ist doch verrückt!“

Liron fühlte sich provoziert, aber versuchte ruhig zu bleiben.

„Was willst du mir damit sagen? Du weißt, dass jeder Salier mit der Fähigkeit geboren wird, die Pflanzenwelt zu verstehen.“

„Ja, dann schau mich mal an. Ich mache keinen Narr aus mir indem ich versuche mit den Büschen zu diskutieren.“ Dass sein Opa immer noch lachte, machte ihn wütend.

„Offensichtlicherweise nicht, du bist ja ein Wanderer. Du siehst sehr weise aus, während du mit Wegen und Füchsen sprichst.“ Einen Hauch Sarkasmus konnte er sich nicht verkneifen. „Aber wie wir nur zu gut wissen, wird das selten vererbt. Und mittlerweile hätten die Pfade mich rufen müssen. Aber anscheinend möchte niemand mit mir sprechen.“ Er war wütend.

„Liron, ich weiß du verbringst deine Zeit hier in Viola und lange Tage geprägt von Arbeit und Warten kommen dir unendlich lang vor. Aber all diese endlosen Tage schließen sich still und heimlich zu Wochen zusammen, die so schnell an dir vorüberziehen, dass du sie nicht einmal gehen siehst.

Ich werde dir ein Geheimnis verraten. Während du auf den richtigen Moment gewartet hast, Viola zu verlassen, hat dieser Moment auch auf dich gewartet. Wie lange wirst du ihn noch warten lassen? Ich bin mir nicht sicher, ob er dir ewig Zeit geben wird. Solche Momente machen das nur selten.“

Es gab einige Gedanken, die Liron hätte zurückwerfen können, aber er fühlte, dass es nicht der richtige Zeitpunkt dafür war, also schwieg er.

„Hast du schon einmal von Mujasa gehört?“

„Klar, so wie jeder. Es ist einfach nur ein altes Wort für Glück oder Wunder.“

„Es ist so viel mehr als das. Der Name kommt eigentlich von einer lang vergessenen Sprache. Eine Sprache, die selbst zu den besten Zeiten nur sehr wenige beherrschten, aber jeder der sie hörte, konnte sie umgehend verstehen.“ „Das ergibt keinen Sinn.“

„Möchtest du, dass es Sinn ergibt? Aktuell werden Pflanzen von Pharmalo vergiftet, eine Gefahr von weit weg kommt unaufhörlich näher… Wir alle können es fühlen.“

„Können wir?“ Warum entging ihm immer alles?

„Es wird Zeit, dass du mehr über Mujasa herausfindest, Liron. Jemand, der eine wichtige Rolle in deinem Leben und in der Geschichte von ganz Kaniteca spielen wird, ist jetzt gerade auf dem Weg nach Robura. Genauso wie die beiden, die ihr heute im Wald getroffen habt.“

„Nach Robura? Und woher weißt du das?“ Natürlich wusste Großvater davon.

„Aber was ist mit Tupos Zeremonie? Die ist doch eigentlich heute Abend. Er wäre sicherlich sehr enttäuscht, wenn ich sie verpassen würde. Und Oma? Wer passt auf sie auf?“

„Ich bleibe hier bei ihr in Viola. Ich bin lange genug gereist.

Es ist deine Entscheidung, Liron.

Das ist es immer.“

 

In Großmutters Haus

Nachdem Tupo die Kinder wieder wohlbehalten ins Dorf gebracht hatte, machte er sich schwerfällig auf den Weg nach Hause. Es graute ihm vor der Unterhaltung, die ihm unausweichlich bevorstand. Er hatte sie bis zum letztmöglichen Augenblick hinausgezögert in der Hoffnung es könnte sich noch etwas ändern. Wie so eine Veränderung aussehen könnte, überstieg jedoch seine Vorstellungskraft.

Oma würde es nicht hören wollen und er wusste das. Nervös und zögerlich betrat er ihr Haus.

„Es ist in Ordnung, Tupo. Mach dir keine Sorgen. Es ist nicht schlimm nervös zu sein, das ist vollkommen in Ordnung. Ich weiß noch wie nervös ich war. Ich war so nervös.“ Sie schaute aus ihrem Schaukelstuhl stolz zu ihm hoch. „Ich bin ja so stolz auf dich. Dass Ping direkt neben meiner alten Dame eingepflanzt wird, macht mich so glücklich, so glücklich.“ Tupo schaute zu Boden.

„Oma. Ich muss dir etwas sagen.“

Aufgeregt wie sie war, ließ sie ihn nicht zu Wort kommen. „Du bist so ein guter Salier. Natürlich, Ping ist ein wenig klein geblieben, aber wer misst da schon nach, nicht wahr? So wie du die Kinder unterrichtest und alle im Dorf unterstützt… Ach, Tupo, weißt du eigentlich wie talentiert du bist?

Du verstehst unsere Pflanzen so viel besser als alle die ich je getroffen habe, naja, mit Ausnahme von mir vielleicht.“ Sie lächelte ihn an.

„Oma, ich kann…

ich, ich werde es nicht machen.“

Großmutter zerdrückte eine Blüte, die sie gerade an einem selbstgemachten Türkranz befestigen wollte. „Was meinst du, du wirst es nicht machen?“

Tupo holte tief Luft bevor es aus ihm heraussprudelte. „Es ist nicht so, dass ich ihn nicht eingraben möchte. Wirklich nicht. Aber Ping ist so klein geblieben. Er sieht aus wie die Pflanze eines Zweijährigen. Ich denke, das ist meine Schuld. Ich, ich wollte, glaube ich, nicht, dass er wächst. Wir wollen frei sein. Wir wollen die Welt eines Tages sehen.“

„Pah!“, Omas Emotionen trieben sie aus ihrem Stuhl und ließen den Kranz zu Boden fallen. „Die Welt sehen! Wer bist du denn, ein Wanderer?“

Tupo atmete, entgegen all seiner krampfhaft gesenkten Erwartungen, enttäuscht aus. Er drehte sich von ihr weg.

„Ich hatte wirklich gehofft, du könntest mich verstehen. Aber ich denke nun, das kannst du nicht. Vielleicht weil du nie die Wahl hattest.“

Er ging.

 

Während er die Treppen nach oben nahm, versuchte er seine Gefühle im Erdgeschoss zu lassen. Für später. Tupo klopfte an Lirons Tür.

„Komm rein.“

Beim Öffnen der Tür konnte er sehen, wie Liron seinen Rucksack packte und dabei all seine Sachen auf seinem Bett verteilte. Auch Lumi hatte seine Sachen zusammengesucht. Diese bestanden ehrlicherweise aber auch nur aus einem kleinen grünen Kapuzenpullover und einer Erdbeere, die Lumi sofort zu verspeisen gedachte.

„Sehr gut! Wie ich sehe, machen wir uns endlich auf den Weg!“

Lumi biss in seine Erdbeere.

„Was ist mit Ping? Und eurer Zeremonie? Und warte! Du willst wirklich mitkommen? Ich weiß nicht einmal wo ich hingehe, wenn ich ehrlich bin.“ Liron stopfte ohne jegliches System Kleidungsstücke in seinen Rucksack. „Ich weiß auch nicht, was ich suche. Ich weiß, das klingt super komisch und ich kann es dir nicht erklären, aber ich werde das Paar, das wir heute im Wald getroffen haben nach Robura verfolgen. Ich denke…“ Da unterbrach Tupo ihn schon.

„Du meinst Mao hinterher? Warum sagst du das nicht gleich? Mehr Infos brauche ich nicht. Worauf warten wir? Und nur um das klar zu stellen, ich glaube ja nicht, dass die ein Paar waren. Wahrscheinlich nicht einmal enge Freunde… Naja, lass uns endlich los!“

 

Kurze Zeit später brach die Gruppe auf. Als sie die Dorfgrenze von Viola verließen, schaute Opa zu seinem Fuchs Cato und sagte ruhig: „Ich denke, sie werden deine Hilfe brauchen, wenn sie den richtigen Weg finden wollen.“

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Nicola Hayward & Kate Narkus

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